Genauigkeit und mathematische Idealisierung

Die Funktionenlupe, Differentiograph und Integraph sind als Lernumgebungen didaktische Konstrukte zum Verstehen und EinSEHEN von Grundvorstellungen der Analysis. Dazu nutzen sie zur dynamischen Visualisierung Schieberegler, die naturgemäß nur rationale Werte annehmen können und auch nur in diskreten Schritten vorangehen. Einen wirklichen Grenzwertprozess im Sinne der Hochschul-Analysis führt man damit nicht durch. Und es gibt auch einen kleinsten Wert, der nicht unterschritten wird (hier auf 0.0001 eingestellt). Inwiefern ist das mathematisch zulässig/ didaktisch hilfreich? Zum Umgang mit Genauigkeit und mathematischer Idealisierung ein Zitat von Ricard Courant zu Anwendungen und Genauigkeit, der von 'physikalisch unendlich kleinen' Größen spricht.: "In den Anwendungen der Mathematik auf Naturerscheinungen haben wir es niemals mit scharf definierten Größen zu tun. Ob eine Länge exakt gleich einem Meter ist, das ist eine Frage, welche durch kein Experiment entschieden werden kann und welche infolgedessen keinen "physikalischen Sinn" hat. Ebensowenig hat es einen unmittelbaren physikalischen Sinn, von einem materiellen Stabe zu sagen, seine Länge sei rational oder sie sei irrational; wir werden sie immer mit jeder wünschenswerten Genauigkeit durch rationale Zahlen messen können [...]. Ebenso wie die Frage nach Rationalität oder Irrationalität in der strengen Bedeutung der "Präzisionsmathematik" keinen physikalischen Sinn hat, wird auch sonst in den Anwendungen die wirkliche Durchführung von Grenzübergängen gewöhnlich nur eine mathematische Idealisierung darstellen. Die Bedeutung solcher Idealisierungen für die Anwendungen beruht vor allem darin, daß durch sie alle analytischen Ausdrücke wesentlich einfacher und handlicher werden. [...] Jede rationelle Naturbetrachtung wäre ohne derartige mathematische Idealisierungen zu hoffnungsloser Komplikation verurteilt und müsste in den ersten Anfängen stecken bleiben. Wir wollen hier jedoch nicht auf eine Betrachtung über das Verhältnis der Mathematik zur Wirklichkeit eingehen; ich möchte lediglich für unsere gegenwärtige Begriffsbildung hervorheben, daß man bei den Anwendungen das Recht hat, einen Differenzenquotienten an die Stelle eines Differentialquotienten zu setzen und umgekehrt, sobald die betrachteten Differenzen nur klein genug sind, um bei der Annäherung eine genügende Genauigkeit zu gewährleisten. [...] Diese "physikalisch unendlich kleinen" Größen haben einen präzisen Sinn. Es sind durchaus endliche, von Null verschiedene Größen, nur für die betreffende Betrachtung klein genug gewählt, z. B. kleiner als der Bruchteil einer Wellenlänge oder kleiner als der Abstand zweier Elektronen im Atom oder dgl., allgemein kleiner als der verlangte Grad der Genauigkeit." R. Courant (1971): Vorlesungen über Differential- und Integralrechnung 1. Springer. S. 98 - 99 Damit ist man nahe an der Sicht des Leibniz-Calculus mit beliebig kleinen ('unvergleichlich kleinen'), aber von Null verschiedenen Größen, den so genannten Differenzialen.